Jimmy Hartwig hat auf und neben dem Fußballplatz alle Höhen und Tiefen erlebt
München. William Georg – genannt „Jimmy“ – Hartwig ist aus einem harten Holz geschnitzt. Als Sohn eines amerikanischen Soldaten, den er nur einmal im Alter von vier Jahren zu Gesicht bekam, wuchs Hartwig bei seiner deutschen Mutter in Offenbach auf. Wegen seiner dunklen Hautfarbe wurde er gehänselt – nur beim Fußballspielen auf der Straße konnte er sich und anderen zeigen, „dass ich doch was Wert bin“, sagt der mittlerweile 56-Jährige. Der schweren Kindheit folgte eine erfolgreiche Karriere als Profi-Fußballer. In seiner besten Zeit spielte Jimmy Hartwig für den Hamburger SV (182 Spiele, 52 Tore) und die deutsche A-Nationalmannschaft (zwei Spiele). In dieser Zeit verdiente er viel Geld. Davon ist aber nichts mehr da.
Grund: Hartwig vertraute sein Geld angeblichen Freunden für Investitionen in eine sichere Altersvorsorge an. Jetzt ist es weg. Doch der für seine ungefilterte Offenheit bekannte religiöse Ex-Fußballer fand zu Gott – und damit aus der Krise: „Gott hat mir den Arsch gerettet“, sagt er heute. Der bekennende Christ sieht es daher als seine Berufung an, Jugendlichen zu helfen. Hartwig hält Vorträge über Krebs-Prävention und über die gesellschaftliche Integration von Jugendlichen. Bei denen kommt er sehr gut an. „Ich will ihnen zeigen, dass das Leben nicht nur aus Computern besteht, Leuten auf die Schnauze zu hauen, Drogen zu nehmen oder zu saufen.“
Mit derselben Begeisterung spricht der in München wohnende Ex-Profi auch über sein zweites Standbein, das Theaterspiel. „Mir macht es einfach Spaß, auf der Bühne zu stehen und Leute zu begeistern.
Bei mir ist das so: Du kannst mir ein Mikrofon geben und ich rocke den Raum. Ich bin einfach eine Rampensau.“ Er, der seinem Sohn Daniel (Schauspieler) nach eigenen Angaben kein guter Vater war, kennt die Situation von jungen Menschen, die mit Gewalt oder Drogen in Kontakt gekommen sind: „Ich war ja selbst nie ein Heiliger. Ich habe viele Fehler gemacht. Man muss sich für sie entschuldigen. Und wenn man auf die Schnauze fällt, darf man nicht liegen bleiben und jammern.“
Er selbst ist dafür das beste Beispiel: 1989 wurde bei Hartwig Prostatakrebs diagnostiziert. Die Prognose der Ärzte damals: Er habe noch zwei Jahre zu leben. Zwei OP’s und etwa 15 Jahre später traf ihn ein erneuter Befund: Hodenkrebs. „Ich werde nicht mehr gesund“, sagt Hartwig, der sich statt einer Chemotherapie zu unterziehen von einem Heilpraktiker behandeln lässt. „Ich lebe mit meiner Krankheit. Es gibt Tage, an denen es mir gut geht und Tage, an denen es mir mies geht. Die Tage, an denen es mir mies geht, werden von Woche zu Woche immer mehr.“ Er sagt, er genieße jeden Tag mit seiner 17 Monate alten Tochter, seiner Frau, seinen Freunden und seinem Beruf. „Und wenn der liebe Gott sagt: ,Jimmy, die Zeit ist gekommen‘, sage ich: Ok.“ Sogar seine Verabschiedung am Tag X hat er sich schon zurecht gelegt: „Ich werde die Zeit Revue passieren lassen und sagen: ‚Früher war alles so richtig geil‘. Mehr muss man dazu nicht sagen.“
Typen wie er gelten in der heutigen Fußballprofi-Welt als ausgestorben. Typen, die nicht rhetorisch geschult auf Fragen antworten, sondern das Herz auf der Zunge tragen, vermisst auch Hartwig: „Ich kann die Interviews schon nicht mehr hören.“ Das hätte sich so mancher früher sicher auch von ihm gewünscht. Vielleicht sogar in der berühmten RTL-Fernsehsendung „Dschungelcamp“, bei der er 2004 Teilnehmer war und einen Sprung in den so genannten „Schlangenteich“ aufgrund einer Panikattacke abbrechen musste. „Das war eine Sache des Geldes. Die Leute, die sich aufregen, dass ich das gemacht habe, sind nur sauer, weil sie das Geld nicht gekriegt haben“, sagt der dreifache Vater und schließt eine solche Maßnahme zur Geldbeschaffung für die Zukunft aus: „So viel Geld können die mir heute gar nicht geben, dass ich das noch mal machen würde. Das war ein Erlebnis, und ich stehe dazu.“
Weil er zu dem steht, was er macht und sagt, kommt für ihn nach seinen Engagements beim FC Augsburg (1989) und FC Sachsen Leipzig (1990) kein weiteres Amt als Fußball-Trainer in Frage. Vor allem, weil er sich nicht „von irgendjemandem, der keine Ahnung hat, reinreden“ lassen will. „Wenn Menschen von etwas eine Ahnung haben, dann lasse ich mir auch gerne mal was sagen. Aber ich rede ja auch keinem Banker rein, wie er das Geld seiner Bank zu verwalten hat“, sagt Hartwig. „Ich bin ein ehrlicher Mensch, und wenn mir jemand auf die Nerven geht, sag‘ ich ihm das. Ganz einfach“, sagt Hartwig und lacht. Den Beweis dafür liefert der 56-Jährige, wenn er über seine Zeit beim FC Homburg (1986 bis 1988) spricht: „Homburg war der Absturz. Nach einer Knieverletzung konnte ich nicht mehr spielen. Dann hatte ich dort auch noch die zwei größten Volldeppen als Trainer (Udo Klug und Slobodan Cendic, Anm. d. Red.)“, sagt der Wahl-Münchner und fährt fort: „Das war echt eine Scheiß-Zeit dort. Die Trainer waren einfach ahnungslose Choleriker, vor allem der Cendic. Wenn man die besten Trainer der Welt hatte wie Branko Zebec und Ernst Happel, dann . . .“
Alles in allem scheint Jimmy Hartwig aber mit seiner wechselhaften Vita zufrieden zu sein: „Ich war oben, ich war unten, ich war rechts und links. Aber das ist doch das Salz in der Suppe. Ich werde immer Jimmy Hartwig bleiben. Bis mir der Sargdeckel ins Gesicht fällt.“ Und der wird wohl – wie er selbst – aus Hartholz geschnitzt sein.
Auf einen Blick
William Georg Hartwig-Almer wurde am 5. Oktober 1954 in Offenbach geboren, ist gelernter Maschinenbauschlosser und lebt mit seiner vierten Ehefrau Stefanie und Tochter in München. Als Fußballspieler trug er 16 Mal das Nationaltrikot: zwei Mal für die A-Nationalmannschaft, sechs Mal für den B-Kader und acht Mal für die Olympiaauswahl. 2010 erschien sein zweites Buch mit dem Titel: „Ich bin ein Kämpfer geblieben“.
Veröffentlicht am 10. Januar 2011 in der Saarbrücker Zeitung.