„Schule ist eine Dienstleistungs-Institution“

Projekt will Schülern durch Sport vermitteln, was gesund essen bedeutet; Agentur „Ganztägig lernen“ gibt Tipps zur Freizeit-Gestaltung von Kindern in Ganztagsschulen – SZ-Serie, Teil 8

Die Herausforderung für Ganztagsschulen ist, dass Schüler nicht nur ihre Bildungszeit, sondern auch viel ihrer Freizeit dort verbringen. Die Schule muss ihnen also etwas bieten – am besten etwas mit viel Bewegung.Am Saarbrücker Gymnasium am Rotenbühl fand der „Sports Finder Day“ statt. Schüler konnten an 34 Stationen Einzeln oder in Mannschaften an Aktionen teilnehmen, die die Bereiche Sport und Gesundheit verknüpften. Die dritte Schulsportstunde ist ein heißes Eisen – das zeigen die Reaktionen auf unsere Serie. Meinungen und Ideen sind gut für Diskussionen. Was zählt, sind aber Taten – sowohl in der Politik als auch in den Schulen.

Saarbrücken. „Freizeit im Ganztag mal anders . . .   II – Nachmittags- und Ferienangebote kreativ gestalten“ – so heißt eine Fachtagung der Service-Agentur „Ganztägig Lernen“ und des Landessportverbandes für das Saarland (LSVS), die in der Sportschule in Saarbrücken stattfand. Mit der Einführung der Freiwilligen Ganztagsschulen und der Ausweitung teil- und vollgebundener Ganztagsschulen muss der Institution „Schule“ nach Meinung von Initiatorin Anette Becker eine neue Bedeutung beigemessen werden. „Schule ist mittlerweile nicht mehr nur eine Bildungs-Institution, sondern eine Dienstleistungs-Institution“, erklärt sie – und schiebt nach: „Das muss bei den Schulen ankommen.“

Becker ist die Projektleiterin der Service-Agentur „Ganztägig lernen“ im Saarland. Vor dieser Tätigkeit begleitete sie drei Jahre lang die Einführung der Freiwilligen Ganztagsschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Sie hat darüber „sehr vielfältige Einblicke in die Problemlagen der Schulen bekommen“, wie sie sagt. Wesentliche Herausforderung für Ganztagsschulen ist, dass die Schüler nicht nur ihre Bildungszeit, sondern auch viel ihrer Freizeit dort verbringen. Die Schule muss ihnen also etwas bieten – am besten etwas mit viel Bewegung. „Viele Erzieher leiden auf Grund der Enge der Zeit an Ideenmangel und scheuen davor, Konzepte für die Freizeit-Gestaltung zu entwickeln“, beklagt Becker und stellt klar: „Dabei muss Konzept-Entwicklung nicht zwangsläufig mit viel Arbeit verbunden sein. Man kann auch schon mit kleinen Dingen Großes bewirken.“

Anregungen, wie das pädagogische Fachpersonal dies auch ohne sportspezifische Ausbildung machen kann, wurden bei der Fachtagung an der Saarbrücker Sportschule in unterschiedlichen Workshops und bei Vorträgen vermittelt. „Wir wollen ihnen die Möglichkeiten nahelegen, was man mit Kindern alles machen kann. Ohne, dass man besondere Materialien oder Utensilien dazu braucht. Und wobei man sich rechtlich und versicherungstechnisch auf der sicheren Seite bewegt“, erklärt Becker.

Um welche Art von Spielen es sich handeln kann, erklärten Fabian Theobald, Dirk Mathis und Achim Raubuch in ihren Vorträgen. Theobald, unter anderem Trainer beim Erlebnispädagogischen Zentrum Saar, referierte über „Erlebnispädagogische Übungen für drinnen und draußen“. Handball-Landestrainer Mathis sprach über „Spiele wie aus Omas Nähkästchen“. Und Sportlehrer Raubuch vom LSVS referierte über „Bewegte Pause – Spiele für den Pausenhof und die Turnhalle“. „Es geht auch ein Stück weit darum, sich wieder auf das zu besinnen, was man vor 30, 40 Jahren automatisch auf dem Schulhof gemacht hat und damit bei den Kindern niedrigschwellig den Spaß an der Bewegung zu fördern“, sagt Becker und nennt beispielhaft einfache Nachlauf- oder Fangspiele.

Mit Resonanz und Ablauf der Veranstaltung ist man bei der Service-Agentur zufrieden. Mehr als 70 Teilnehmer hörten sich die Vorträge an und machten bei den Workshops mit. „Es ist ja so, dass das Landesinstitut für Pädagogik und Medien sehr viele Fortbildungen für Lehrer, aber nicht für pädagogische Fachkräfte anbietet“, erklärt Becker und nennt die Fortbildungsreihe „Sport und Bewegung im Ganztag“ der Service-Agentur, des LSVS und des Bildungsministeriums, die genau das in acht Modulen speziell für Erzieher anbietet.

Einen Fachtag zum Thema Sport und Bewegung wird es so schnell nicht noch einmal geben, aber laut Becker in der nächsten Zeit „auf jeden Fall vereinzelte Angebote zu dieser Thematik“. > wird fortgesetzt

saarland.ganztaegig-lernen.de

Bewegung, Ernährung, Entspannung

Saarbrücken. „Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Die Kinder waren zum größten Teil begeistert“, sagt Lothar Altmeyer, Studiendirektor und Leiter des Sportzweigs am Saarbrücker Gymnasium am Rotenbühl, über den ersten „Sports Finder Day“, der an seiner Schule stattfand. Initiatoren des Projekts sind die Sportjugend Hessen und Nutella. Veranstalter in Saarbrücken waren außerdem die Schule und die Sportjugend Saarland.

Kontakt zu lokalen Vereinen

Unter dem Motto „Bewegung, Ernährung und Entspannung“ wurden etwa 600 Schüler der Klassenstufen fünf bis neun 34 Stationen geboten, an denen sie Einzel- oder Mannschafts-Aktionen in den Bereichen Sport und Gesundheit wahrnehmen und in Kontakt mit lokal angesiedelten Vereinen treten konnten. Zu den Stationen gehörten beispielsweise eine Kletterwand, eine Straßenfußball-Arena und ein Frisbee-Parcours.

Stempel für Leckereien

Pro Station gab’s einen Stempel, für den der Teilnehmer sich an einem Frühstücksbüfett kleine und große Leckereien „kaufen“ konnte. Die eher ungesunden kosteten viele, gesündere Produkte weniger Stempel. Ein Stück Kuchen war vier Stempel wert, Müsli oder Obstsalat zwei. Ebenfalls zwei Punkte kostete eine Scheibe Nutella-Brot.

„Den Kindern wurde bewusst, was gesunde Ernährung bedeutet und was nicht“, sagt Altmeyer, der sich über die Resonanz freut: „Im Schnitt war jedes Kind an etwa neun Stationen aktiv. Es war für jeden etwas dabei und es wurden durchweg alle Sinne angesprochen.“ Er empfiehlt das Projekt weiter: „Diese Erfahrung sollten auch andere Schulen einmal machen. Wir waren die erste im Saarland und wollten der Wegbereiter sein.“ zen

sportsfinderday.de

Zeit und Ideen gefragt – von Politikern und Lehrern

St. Wendel/Saarbrücken. „Wenn den Politikern die dritte Sportstunde so wichtig wäre, wie sie der SZ-Serie ,Schule und Sport‘ erklärt haben, könnte man sie auch einführen“, sagt Martin Mathias. Er ist seit mehr als 30 Jahren als Diplom-Sportlehrer tätig und zudem Moderator für Grundschul-Sportunterricht im Schulbezirk St. Wendel. „Aber ich brauche keine dritte Sportstunde“, sagt er: „Wenn ich in der Halle bin, haben die Kinder 40 Minuten Sport von 45 Minuten Unterrichtszeit. Nicht, weil ich so gut bin, sondern weil ich die Zeit und die Möglichkeiten dazu habe.“ Fünf Minuten haben die Grundschüler Zeit, sich umzuziehen. Verspäten sie sich, müssen sie Kniebeugen machen.

Mathias hat im Gegensatz zu einem Grundschullehrer nichts anderes zu erledigen, als den eigentlichen Sportunterricht. „Man müsste mehr ausgebildete Fachleute an die Grundschule schicken und intensiv arbeiten lassen“, sagt er: „Das Klassenlehrer-Prinzip ist schön und gut und sollte weitestgehend erhalten bleiben. Aber beim Sport ist die Frage: Was wäre langfristig das kleinere Übel?“

Wie er haben sich Sportpädagogin Sabine Hafner von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Günther Pöhland, kürzlich pensionierter Sportlehrer am Dillinger Albert-Schweitzer-Gymnasium, und Christine Sinnwell-Backes, Leiterin der Offenen Ganztagsschule Nalbach, in der SZ zu Wort gemeldet. Hafner wertet die Abschaffung der dritten Sportstunde als „fatal falsch“. Pöhland sagt, dass Ansprüche des Schulsports und Wirklichkeit dessen, was Kinder können, aneinander vorbei gingen – und sagt, Schulsport stehe heute zu sehr im Zeichen der „Wellness-Bewegung“: „Schulsport ist nur noch auf Wohlfühlen und Spaß ausgelegt, und nicht auf Förderung leistungsschwächerer Schüler.“ Sinnwell-Backes verweist auf das Konzept ihrer Schule, an der Kinder täglich ein anderthalbstündiges Bewegungsangebot wahrnehmen können. Die Schule arbeitet mit örtlichen Clubs zusammen.

Meinungen und Ideen sind gut für Diskussionen, was zählt, sind Taten in Politik und Schulen. Bei der Tagung „Freizeit im Ganztag mal anders“ in Saarbrücken sprach Sportlehrer Achim Raubuch über einfache und günstige Ergänzungen der Bewegungsangebote (siehe Text). „Kinder müssen die Pausen nutzen können, um sich auszutoben“, sagt er und meint die Wiedergeburt der Schulhof-Spiele wie Springhäuschen, Seilspringen oder Gummi-Twist. Auch sollten Schulen die Nutzung der Multifunktionsfelder in Pausen erlauben.

Veröffentlicht seit Mitte September 2012 in unterschiedlichen Lokalausgaben der Saarbrücker Zeitung.

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